Читать онлайн
Ein Ausflug in die Waldregion

Нет отзывов
lvan S.Turgenev
Ein Ausflug in die Walregion

Erster Tag

Der Anblick der ungeheuern, den ganzen Horizont umspannenden Kieferwaldung, der Anblick der »Waldregion« erinnert an den Anblick des Meeres. Auch erweckt er uns dieselben Eindrücke; dieselbe jungfräuliche Urkraft dehnt sich breit und mächtig vor dem Angesichte des Beschauers aus. Aus dem tiefsten Innern der uralten Waldung, aus dem ewigen Schooße der Wasser ertönt die gleiche Stimme der Natur, welche zum Menschen spricht: »Ich habe mit dir nichts zu schaffen, ich herrsche – du aber sorge um dein Leben.«

Der Wald ist nur einförmiger und melancholischer als das Meer, besonders bietet der Fichtenwald ein beständiges Einerlei und eine fast lautlose Stille.

Das Meer droht und schmeichelt, spielt in allen Farben, redet in allen Stimmen; es spiegelt den Himmel wieder, von welchem gleichfalls ein Hauch der Ewigkeit weht, aber einer Ewigkeit, welche uns nicht neigen fremd zu sein scheint . . . Der unveränderliche, finstere Nadelwald zeigt, sich entweder in mürrischem Schweigen, oder dumpfem Geheul, und das Bewußtsein unserer Richtigkeit durchdringt bei seinem Anblick das Herz noch tiefer und unwiderstehlicher.

Schwer fällt es dem Menschen, dem gestern gebornen und schon heute dem Tode geweihten Eintagswesen, den kalten, theilnahmslos aus ihn gerichteten Blick der ewigen Isis zu ertragen; nicht blos die kühnen Hoffnungen und hochfliegenden Träume der Jugend werden gedemüthigt und erlöschen in ihm beim Eiseshauche der Elementarmächte: seine ganze Seele – zieht sich gebeugt und scheu in sich selbst zurück; er fühlt, daß der letzte seiner Brüder vom Angesichte der Erde verschwinden könnte, ohne daß nur eine Kiefernadel an den Zweigen darob erzitterte; – er fühlt seine Vereinsamung, seine Schwäche, seine Abhängigkeit vom Zufall, und mit heftiger, heimlicher Angst kehrt er zu den kleinen Sorgen und Mühen des Lebens zurück; ihm wirdʼs leichter um’s Herz in dieser von ihm selbst geschaffenen Welt; hier fühlt er sich heimisch, hier wagt er noch an seine Bedeutung zu glauben und seiner Kraft zu vertrauen.

Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich – vor einigen Jahren auf der Freitreppe eines kleinen, am Ufer des schlammigen Flüßchens Refetta erbauten Wirthshauses stehend – zum Erstenmale die Waldregion erblickte.

In endlos weitgeschwungenen, ununterbrochenen Abstufungen lagen vor mir die tiefblauen Massen des ungeheuern Nadelwaldes, aus welchem nur vereinzelt wie grüne Punkte, Gruppen von Birken hervorschimmerteu; sonst war der ganze Horizont von Kieferwaldung begrenzt. Nirgends zeigte sich eine weiße Kirche oder ein blühendes Feld – überall drängte sich Baum an Baum, überall stiegen zackige Wipfel in die Luft, und darüber schwebte ein feiner, trüber Nebel, der diese Waldregion ewig umspinnt. Es war nicht Trägheit, nicht Unbeweglichkeit des Lebens, was mich von allen Seiten dort anwehte: mir erschien es vielmehr wie Abwesenheit alles Lebens, wie der Tod selbst, obschon in erhabenem Bilde. Ich erinnere mich noch, wie große, weiße Wolken still und hoch vorüberzogen und der heiße Sommertag unbeweglich auf der schweigenden Erde lag. Das röthliche Wasser des Fliißchens glitt geräuschlos zwischen diesem Gebüsch dahin; auf seinem Grunde zeigten sich unbestimmt kleine Erhöhungen von stacheligem Moose, während die Ufer sich hier in Sümpfen und Morästen verloren, dort von weit umhergesprenkelten feinem weißen Sande schimmerten. Dicht neben dem Wirthshause lief ein gebahnter Fahrweg hin.

Auf diesem Wege, gerade der Freitreppe gegenüber, stand eine mit Schachteln und Kisten beladene Telega. Der Besitzer dieses Fuhrwerks, ein hagerer Kleinbürger mit einer Habichtsnase und Mäuseaugen, bucklich und lahm, war beschäftigt einen ebenfalls lahmen Gaul einzuspannen, um mit seinen Kisten und Kasten auf den Jahrmarkt nach Karatschef zu fahren. Er war nämlich seines Gewerbes ein Pfefferkuchenbäcker oder Lebzelter wie man im südlichen Deutschland sagt.

Plötzlich zeigten sich auf dem Wege verschiedene Leute, denen noch andere folgten, bis endlich eine ganze Menge beisammen war. Alle trugen Stöcke in der Hand und kleine Ränzel auf dem Rücken. Aus ihrem müden, schwerfälligen Gange und den sonnverbrannten Gesichtern konnte man entnehmen, daß sie weither kamen. Es waren Arbeitsleute aus Jushnow, welche in die Heimat zurückkehrten.

Ein wohl siebzigjähriger Greis mit schneeweißem Haar schien ihr Führer zu sein. Er kehrte sich zuweilen um und ermunterte mit ruhiger Stimme die müden Wanderer, ihre Schritte zu beschleunigen. »Nun, nun, nun, Kinder – sagte er bedeutsam – nu – nu!« Alle schritten schweigend, in fast feierlicher Stille einher. Nur Einer, von niederem Wachse und grimmigem Gesichte, einen offenstehenden Schafpelz und eine bis auf die Augen gedrückte Mütze von gleichem Stoffe tragend, näherte sich dem Lebzelter mit der brüsken Frage:

– Was kostet ein Lebkuchen, alter Pinsel?